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Leben

Kraft schöpfen und den Körper stärken nach Krebs

Mit Yoga zurück zu Vertrauen und Lebensfreude

von Anjuna

Ein Artikel über Krebs auf einer Yogaplattform? Ist das nicht ein etwas sehr spezifisches und vielleicht auch deprimierendes Thema?

Ich möchte euch in diesem Artikel gerne auf eine Reise mitnehmen. Eine Heldenreise à la Frodo aus Herr der Ringe. Es muss nämlich nicht die eigene Geschichte sein, um daraus etwas mitzunehmen, sich berührt und vielleicht sogar inspiriert zu fühlen. Und sicher ist so eine Reise nicht immer ein einfacher Sommerspaziergang. Eine Heldenreise beginnt mit einem Weckruf, dann einer großen Herausforderung, die gemeistert werden muss und schließlich einem (inneren) Schatz, der durch die neuen Erfahrungen geborgen wurde und im besten Fall als »original medicine« weitergegeben wird.

Meine persönliche Geschichte

Meinen Weckruf erhielt ich im Februar 2020. Pünktlich mit dem Beginn der Corona-Pandemie hörte nicht nur die Welt sich auf zu drehen. Auch meine eigene kleine Welt stand plötzlich still, als ich die Diagnose Eierstockkrebs erhielt. Ein unendlich hartes Jahr mit Operationen, Chemotherapie und emotionalem Ausnahmezustand später wurde ich als geheilt entlassen. Schnell musste ich jedoch feststellen, dass geheilt nicht gesund bedeutet. Eine intensive Zeit der körperlichen und seelischen Regeneration begann. Yoga war ein ganz wichtiger Bestandteil dieser Heilreise. Zu dieser Zeit entstand auch der Wunsch, meine Tools und Methoden, die mir persönlich geholfen haben, weiterzugeben. Heute begleite ich in meiner eigenen Praxis für Physiotherapie und Psychoonkologie Menschen nach Krebs.

Warum nun hier das Thema Krebs?

Weil es uns alle angeht. Jeder zweite Mensch ist im Laufe seines Lebens indirekt oder direkt davon betroffen. Eine Krebsdiagnose stellt das Leben auf den Kopf – nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für ihr Umfeld. Die Krankheit und ihre Behandlung hinterlassen Spuren, körperlich wie seelisch: Erschöpfung, Kraftlosigkeit und Unsicherheit begleiten viele noch lange. Selbst wenn die Akuttherapie gut überstanden ist (was glücklicherweise auf über 80 % der Betroffenen heutzutage zutrifft), bleibt die Frage:

»Wie kann ich wieder zu meiner Stärke finden?«

Und dieser Prozess betrifft nicht nur (ehemalige) Patient:innen. In unserer leistungsorientierten Gesellschaft kennen wir alle Phasen der Erschöpfung – sei es durch Krankheit, Stress oder persönliche Krisen. Der Weg aus diesen Tiefs zurück in die Kraft ist universell. Er fordert Geduld, Achtsamkeit und bewusste Selbstfürsorge. Yoga, Bewegung und innere Balance können dabei eine entscheidende Rolle spielen. Sie helfen, den Körper sanft wieder aufzubauen, das Vertrauen zu stärken und seelische Wunden heilen zu lassen. In diesem Artikel möchte ich also zeigen, wie wir nach einer schweren Zeit wieder in unsere Kraft kommen können. Denn Resilienz, Regeneration und Wohlbefinden betrifft jeden von uns.

Der Weg zwischen Krankheit und Heilung

Was sind denn die typischen Einschränkungen nach einer Krebserkrankung? Sollte das Leben dann nicht einfach so weitergehen wie davor? Leider ist das oft nicht so. Auf Körperebene können Dinge wie Polyneuropathie, Osteoporose, Fatigue (Erschöpfungssyndrom), Muskelschwäche oder Gedächtnisstörungen Betroffene beschäftigen. Die Nebenwirkungen sind zahlreich, aber gerade durch Yoga kann man ganz viel tun, um diesen entgegenzuwirken.

Balanceübungen sind beispielsweise großartig, um das Gefühl in den Füßen zu stimulieren. Kraftübungen helfen bei Osteoporose. Innere Ruhe und seine eigenen Grenzen kennenlernen hilft bei Fatigue. Im Anhang verlinken wir ein paar passende Folgen.

Nach einer Krebsbehandlung fühlt sich der Körper oft fremd an: Die Muskeln sind geschwächt, die Ausdauer gering, und selbst kleine Anstrengungen können überwältigend wirken. Es kann schnell passieren, dass man in einen Teufelskreis aus Erschöpfung und Schonverhalten gerät – aus Angst, sich zu überfordern, bewegt man sich weniger und die Kraftlosigkeit nimmt zu. Doch genau hier liegt die entscheidende Erkenntnis: sanfte Bewegung ist kein zusätzlicher Energieverbrauch, sondern eine Quelle der Regeneration.

Angepasstes Yoga fördert die Durchblutung, stärkt die Muskulatur und aktiviert Ressourcen. Das hilft nicht nur dabei, körperliche Vitalität zurückzugewinnen, sondern hat auch tiefgreifenden Einfluss auf das seelische Wohlbefinden. Jede Bewegung sendet dem Körper das Signal: »Ich bin aktiv, ich bin lebendig, ich kann etwas tun.«

Die Kraft der Selbstwirksamkeit

Wer sich bewegt, spürt, dass er oder sie dem eigenen Wohlbefinden nicht ausgeliefert ist, sondern aktiv etwas beitragen kann. Das ist Selbstwirksamkeit. Dieses Gefühl, selbst etwas zu bewirken, ist essentiell für die innere Stärke. Es wandelt Ohnmacht in Zuversicht und Erschöpfung in neue Kraft. Gerade nach einer schweren Zeit ist es wichtig, sich selbst wieder als handlungsfähig zu erleben – Schritt für Schritt, Atemzug für Atemzug, āsana für āsana. Denn in der bewussten Bewegung liegt nicht nur die körperliche Heilung, sondern auch die Rückkehr zu Vertrauen und Lebensfreude.

Nahrung für Körper und Seele

Ein Aspekt, der auch in der Schulmedizin zunehmend Anerkennung findet und durch zahlreiche Studien belegt ist, ist das Potenzial einer ausgewogenen, nährstoffreichen Ernährung. Sie kann Entzündungen reduzieren, das Immunsystem stärken und zur Regeneration beitragen. Wenn wir den Körper als Tempel der Seele betrachten, wird deutlich, wie wichtig es ist, womit wir ihn nähren – auf körperlicher wie geistiger Ebene. Bewegung, Ernährung und mentale Gesundheit bilden dabei die drei zentralen Säulen für ein stabiles Fundament von Wohlbefinden und Vitalität.

Yoga als Schlüssel zur Stärkung von Körper und Geist

Wie ihr hier ja vermutlich alle wisst, ist Yoga weit mehr als eine sanfte Bewegungsform. Es ist eine ganzheitliche Praxis, die Körper, Geist und Seele stärkt. Besonders nach einer Krebserkrankung kann Yoga diesen drei Anteilen von uns helfen.
Die S3-Leitlinien zur Supportivtherapie empfehlen seit kurzem insbesondere Yoga zur Verbesserung von Fatigue, Angst und Lebensqualität bei Krebspatient:innen.

Das Besondere am Yoga ist die Verbindung von Atem, Bewegung und Achtsamkeit. Durch die fließenden, bewussten Bewegungen wird der Körper gestärkt, während die Atmung als Brücke zwischen körperlicher und emotionaler Ebene dient. Die bewusste Lenkung des Atems (bei Bärbel oft als Ujjayi Atmung) aktiviert u.a. das parasympathische Nervensystem – den beruhigenden Teil des vegetativen Nervensystems – wodurch Stress reduziert, Erholung gefördert und das Nervensystem wieder in Balance gebracht wird.

Yoga schafft so einen Raum der Selbstwahrnehmung und Selbstfürsorge. Jede Praxis ist eine Einladung, den eigenen Körper liebevoll zu spüren, Kraft aufzubauen und sich mit Energie zu füllen.

Resilienz stärken

Ein Begriff, der in diesem Zusammenhang immer wieder auftaucht, ist »Resilienz«. Ihr habt ihn sicher schon gehört. Resilienz beschreibt die Fähigkeit, schwierige Situationen, Krisen oder Schicksalsschläge nicht nur zu überstehen, sondern sogar gestärkt aus ihnen hervorzugehen. Es geht um die psychische Widerstandsfähigkeit, die uns hilft, mit Belastungen umzugehen und uns von Rückschlägen nicht entmutigen zu lassen.

Gerade nach einer Krebserkrankung, wenn der Körper und die Seele viel durchgemacht haben, spielt Resilienz eine entscheidende Rolle. Sie ermöglicht es uns, mit Ängsten, Unsicherheiten und den Folgen der Behandlung besser umzugehen. Sie hilft uns, wieder Vertrauen in den eigenen Körper und in das Leben zu fassen.

Und das Schöne ist: Resilienz ist keine angeborene Eigenschaft, die manche Menschen haben und andere nicht. Sie ist vielmehr eine Fähigkeit, die wir alle in uns tragen und die wir gezielt entwickeln und stärken können.

Wie können wir Resilienz noch stärken? Einige Beispiele sind:

  • Achtsamkeit: Praktiken wie Meditation, Yoga oder Atemübungen können helfen, im gegenwärtigen Moment anzukommen und Stress abzubauen.
  • Positive Selbstgespräche: Negative Gedankenmuster erkennen und in positive Affirmationen umwandeln.
  • Soziale Kontakte pflegen: Austausch mit anderen Betroffenen und die Unterstützung durch Familie und Freunde
  • Selbstfürsorge: Auf die eigenen Bedürfnisse achten, sich Zeit für Entspannung und Hobbys nehmen.
  • Akzeptanz: Die Vergangenheit akzeptieren und sich auf die Zukunft konzentrieren.
  • Ziele setzen: Sich realistische Ziele setzen und kleine Erfolge feiern.

Ressourcen

Nachdem wir nun über Resilienz gesprochen haben, wollen wir uns genauer ansehen, was uns dabei helfen kann, diese innere Stärke zu entwickeln und zu bewahren: unsere Ressourcen. Der Begriff »Ressourcen« meint im Grunde all das, was uns zur Verfügung steht, um Herausforderungen zu bewältigen, uns zu erholen und unser Wohlbefinden zu fördern. Man kann sie sich wie einen Werkzeugkasten vorstellen, gefüllt mit verschiedenen Instrumenten, die uns in unterschiedlichen Situationen helfen.

Man unterscheidet zwischen inneren und äußeren Ressourcen. Innere Ressourcen sind Eigenschaften, Fähigkeiten und Einstellungen, die wir in uns tragen. Sie sind Teil unserer Persönlichkeit und beeinflussen, wie wir die Welt wahrnehmen und mit ihr umgehen, zB. Optimismus, Humor oder Kreativität.

Äußere Ressourcen hingegen sind Faktoren in unserem Umfeld, die uns unterstützen und uns Halt geben. Sie umfassen unsere sozialen Beziehungen, unsere Lebensumstände und die Möglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen, z.B. Freunde und Familie, Zugang zu guter medizinischer Versorgung oder eben Yoga.

Jeder Mensch hat seine ganz eigenen Ressourcen, die ihm in unterschiedlichen Situationen helfen. Es gibt noch unzählige Beispiele mehr. Manchmal muss man etwas tiefer graben, um sich ihrer bewusst zu werden. Wenn ihr mögt, nehmt euch heute gern mal etwas Zeit und notiert alle Dinge, die euch Kraft und Halt geben. Fragen zur Inspiration:

  • Was hilft mir, schwierige Zeiten zu überstehen und mich wieder aufzurappeln?
  • Welche inneren Stärken habe ich bereits entwickelt?
  • Und welche äußeren Unterstützungssysteme stehen mir zur Verfügung?
  • Was tut mir gut?

Der Umgang mit der Angst vor Krebs

Kaum eine Krankheit löst so viel Unsicherheit und Angst aus wie Krebs. Es erinnert uns an die Verletzlichkeit des Lebens, an das Unkontrollierbare und Unvorhersehbare. Nicht nur Betroffene selbst, sondern auch ihr Umfeld sieht sich mit diesen Ängsten konfrontiert. Oft wissen Angehörige nicht, wie sie helfen können, ohne sich selbst zu überfordern und die Erkrankten mit gut gemeinten Ratschlägen zu erdrücken.

Der wichtigste Aspekt in der Unterstützung ist Präsenz – einfach da sein, zuhören, ohne sofort Lösungen anzubieten. Krebsbetroffene brauchen oft nicht unbedingt nur Hilfsangebote, sondern vielmehr das Gefühl, in ihrer Situation gesehen und angenommen zu werden. Eine offene Haltung und die Bereitschaft, auch schwierige Momente gemeinsam auszuhalten, sind oft am wertvollsten.

Gleichzeitig dürfen Angehörige auf ihre eigenen Grenzen achten: Nur wer selbst in seiner Kraft bleibt, kann wirklich für andere da sein. Hier kommt wieder Selbstfürsorge ins Spiel. Genau wie für Betroffene ist Yoga natürlich auch für Angehörige und Nicht-Betroffene ein wertvolles Werkzeug. Zudem spielt sie als Prävention eine zentrale Rolle. Ein gesunder Lebensstil, regelmäßige Bewegung und mentale Ausgeglichenheit tragen zu einem gesunden, starken Körper bei.

Und schließlich tut es uns allen gut, uns auch mal mit der Endlichkeit des Lebens auseinanderzusetzen. Der Tod ist ein natürlicher Teil unserer Existenz, doch in unserer Gesellschaft wird er oft verdrängt. Dabei kann es eine große Erleichterung sein, sich den eigenen Ängsten zu stellen, anstatt sie zu vermeiden. Wer sich mit der Vergänglichkeit beschäftigt, gibt der Angst weniger Raum – und macht Platz für Vertrauen, Dankbarkeit und inneren Frieden. Indem wir das Leben mit all seinen Facetten annehmen, können wir bewusster, erfüllter und liebevoller mit uns selbst und anderen umgehen.

Neue Balance finden

Nach einer Krebserkrankung geht es oft nicht darum, einfach ins »alte Leben« zurückzukehren. Denn dieses Leben hat sich verändert. Der Körper hat sich gewandelt, die Seele hat viel durchlebt, und oft verschieben sich Prioritäten und Werte.
Doch in dieser Veränderung liegt auch eine große Chance: die Möglichkeit, eine neue Balance zu finden, die dem jetzigen Ich entspricht.

Die Kraft, diesen Weg zu gehen, steckt in jedem und jeder von uns – unabhängig von einer Diagnose. Sie zeigt sich in der Fähigkeit, sich immer wieder neu auszurichten, Herausforderungen zu meistern und trotz allem Vertrauen ins Leben zu schöpfen. Manchmal laut und entschlossen, manchmal leise und zart, doch diese Fähigkeit ist immer da.

Dieser Artikel ist eine Einladung an alle, den eigenen Weg zu finden – in der Bewegung, im Atem, der Stille, der Achtsamkeit für das, was jetzt guttut. Es gibt kein festes Ziel, kein »so muss es sein«, sondern nur den individuellen Prozess zurück in die eigene Kraft. Ob durch Yoga, bewusste Momente der Ruhe oder kleine, neue Rituale – wichtig ist, dass es sich stimmig anfühlt.

Denn wahre Heilung bedeutet nicht nur körperliche Genesung, sondern auch, sich selbst in jeder neuen Lebensphase anzunehmen und ihr vertrauensvoll zu begegnen.

Ich schließe mit meinem Lieblingszitat des Dalai Lama:

Die schwierigste Zeit in unserem Leben ist die beste Gelegenheit, innere Stärke zu entwickeln.

Du hast noch Fragen zum Thema Yoga und Krebs? Oder bist selbst betroffen und möchtest deine Erfahrungen teilen? Schreib‘ uns sehr gerne unten in die Kommentare!

Über die Autorin+

Hallo! Ich bin Anjuna Roscher, Physiotherapeutin und Psychoonkologin mit eigener Praxis in
Stuttgart. Mein Fokus liegt auf der ganzheitlichen Begleitung von Menschen mit
Krebserfahrung. Ich habe auch vor meiner Diagnose 2020 regelmäßig mit YOGAMOUR Yoga
praktiziert, aber mit der Erkrankung ist es ein fester Bestandteil und Anker in meiner
Heilreise geworden.Bärbel durfte ich inzwischen auch schon einige Male – bei Workshops und Retreats –
persönlich erleben und habe bereits bei einem ihrer Retreats als Physiotherapeutin
mitgewirkt. Neben meinem Beruf und dem Yoga bin ich Mama und bereise gerne die Welt.

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Veröffentlicht am 23. März 2025 | Geschrieben von Anjuna | Alle Artikel von Anjuna

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Ein Kommentar zu "Kraft schöpfen und den Körper stärken nach Krebs"

  1. Stefanie sagt:

    DANKE für diesen ehrlichen, ungeschönten Artikel! Als ehemals Betroffene kann ich all das Geschriebene bestätigen und freue mich mit der Autorin über ihre Genesung und alles Postive, das ihr seither widerfahren ist. 🍀
    Das genannte Zitat des Dalai Lama übernehme ich gerne mit in mein Leben.

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